INTERVIEW mit dem Landesvorsitzenden Engin Eroglu
Kassel: Die FREIE WÄHLER gehörten zu den Gewinnern der jüngsten Wahlen auf Landes- und Kommunalebene. Wofür steht die noch junge und wenig beachtete Partei? Wir sprachen mit dem nordhessischen EU-Abgeordneten Engin Eroglu, der Landeschef in Hessen sowie stellvertretender Bundesvorsitzender ist.
Herr Eroglu, haben Sie die guten Ergebnisse Ihrer Partei erwartet?
In Rheinland-Pfalz haben wir uns etwas ausgerechnet. Wir haben uns auf dieses Land konzentriert und im Wahlkampf erhebliche finanzielle Ressourcen aufgewendet. Das Ergebnis lässt sich sehen, auch wenn es dann doch knapper als erhofft war. Das Ziel war, in den Landtag zu kommen. In Baden-Württemberg war ich von unseren drei Prozent positiv überrascht. Da haben wir kurzfristig noch von der Maskenaffäre der CDU profitiert. Dort sind wir noch nicht so weit.
Wie sieht es mit Ihrem Heimatland Hessen aus?
Dort haben wir bei den Kommunalwahlen unglaublich starke Ergebnisse erzielt. Auch die Wählergemeinschaften, die uns angeschlossen sind, haben gut abgeliefert. Der Trend geht klar nach oben. Wenn wir so weitermachen, haben wir gute Chancen in den nächsten Landtag einzuziehen. Das liegt auch am neuen Weg, den wir in Hessen gehen.
Was ist dieser neue Weg?
Seit der Gründung im Jahr 2010 haben diese lokalen Wählergruppen immer einen Delegierten zur Landespartei geschickt. Wir haben aber schnell gemerkt, dass eine Partei nicht wie ein Verband funktioniert. Die Ortswählergruppen können deswegen seit 2015 in Gänze Mitglieder der Landespartei werden. Die Bürger müssen klar erkennen, wofür die Freien Wähler stehen und wer sie sind. Mit diesem von mir angestoßenem Weg haben wir unsere Ergebnisse verbessert.
Wie schwer ist es, sich in solch einem Konstrukt, auf ein Programm zu einigen?
Für Hessen kann ich sagen: Es ist möglich, braucht aber Geduld. Wir haben einige interne Spannungsfelder, etwa beim Thema Windenergie, wo es auf lokaler Ebene teilweise sehr konträre Positionen gibt. Das liegt aber nicht an einer prinzipiellen Ablehnung von Windenergie, sondern an örtlichen Begebenheiten. Am Ende ist es für uns wichtig, das vor Ort Bestmögliche zu machen. Also ja zu nachhaltiger Energiepolitik, aber nein zur Zerstörung von Urwäldern für Windräder. Diese Differenzierung müssen wir aushalten.
Ihr Slogan in Hessen lautet „Bürgerwille durchsetzen“ – ist das nicht populistisch?
Genau genommen sagen wir: „Bürgerwille durchsetzen und Hessen verbessern“. Das funktioniert nur im Doppelklang. Der Bürgerwille ist für uns nicht, was eine laute Minderheit will, sondern wofür die schweigende Mehrheit steht. Wir sind das Gegenteil von populistisch. Wir haben den Spruch aber gewählt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, das ist klar. Wir möchten genau diese Frage gestellt bekommen, um klar machen zu können, wofür wir stehen.
In Bayern regieren Sie mit. Sind Sie in anderen Ländern auch schon so weit?
Ja, in Rheinland-Pfalz wären wir gern in Koalitionsverhandlungen gegangen, das hat die SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer aber abgelehnt. Auch in Brandenburg wären wir bereit zum Regieren gewesen. Wir machen Politik, um zu gestalten. Das geht nicht aus der Opposition heraus. In unseren Reihen haben wir viele, die schon in Verantwortung sind, etwa in Gemeindeparlamenten oder als Bürgermeister. Wir brauchen keine Anlaufzeit mehr. Eines muss aber klar sein: Wir sind keine konservativen Mehrheitsbeschaffer – weder als Wurmfortsatz der CDU, noch als eine neue FDP. Schaut man sich die Wählerwanderung an, dann sieht man: Wir bekommen genauso viele Wähler von der SPD wie von der CDU. Wir sind in der Mitte verankert.
Mit wem gibt es die größten Schnittmengen?
Das ist sowohl bei der SPD als auch der CDU der Fall – man muss aber schon auf konkrete Wahlprogramme schauen. In Hessen haben wir für gebührenfreie Kitas und gegen die Umlegung von Straßenbaubeiträgen plädiert – beides haben die Genossen von uns übernommen. Bei beiden Punkten hat die CDU nein gesagt. Aber Programme und Persönlichkeiten ändern sich, wir können und wollen uns da nicht festlegen.
Das geht nur mit einer guten Portion Opportunismus, oder?
Das nicht, aber es braucht viel Geduld. Wir diskutieren viele Fragen viel grundsätzlicher, da gibt es schon heiße Diskussionen. Es geht also oftmals gar nicht um das Wie oder Wann, sondern zunächst mal um das Ob. Das ist kein Opportunismus, sondern Basisdemokratie. Bei uns gibt es ja auch keine Delegiertenkonferenzen, sondern alle haben die Möglichkeit sich direkt und ungefiltert einzubringen.
Mit wem gibt es die größten Differenzen?
Mit der AfD und der Linkspartei. Mit beiden halte ich keine Koalition für möglich. Wir können auch nichts mit neoliberalen Positionen anfangen. Mit den Linken kann man auf kommunaler Ebene zwar gut zusammenarbeiten, weiter oben werden die inhaltlichen Differenzen aber zu groß, etwa beim Thema Auslandseinsätze der Bundeswehr oder einem einheitlichen und nicht gestaffelten Mindestlohn. Die AfD entwickelt sich zumindest im Bund in eine nicht-demokratische Richtung und wird von rechts gesteuert. Das wollen wir nicht durch eine Zusammenarbeit auf welcher Ebene auch immer legitimieren.
Sind Sie schon bereit für die Bundestagswahl?
Das wird sicher ein hartes Brett. Zunächst wird aber die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt wichtig. Dort sind wir gut aufgestellt, ähnlich wie in Rheinland-Pfalz. Holen wir da ein gutes Ergebnis, wird die Aufmerksamkeit vor der Bundestagswahl größer. Ohne diesen Rückenwind wird es schwer werden, sich ins Spiel zu bringen. Unsere Ressourcen sind begrenzt, auch weil wir prinzipiell keine Spenden von Konzernen annehmen.
Quellenangabe: HNA vom 25.03.2021, Seite 11